Agile Persönlichkeit

Mitte der 2000er Jahre sprach Hirnforscher Gerald Hüther auf einem Live Vortrag von dem Wegdriften der traditionellen, so verlässlich erscheinenden Gesellschaft. Post, Bahn, Berufsaussichten, der Lebensmittelladen in der Mitte des Quartiers, persönliche Ansprache und Einbettung in die Gemeinde ... was früher kalkulierbar erschien, wich und weicht einer bunten und offenen Gesellschaft. Optionen verwirren Nutzer im Netz. Die fluide Gesellschaft steht mit der Digitalisierung auf dem Plan. Um damit zurechtzukommen, benötigt es statt äußerem Halt innere stützende Haltung, so die immer noch sehr aktuelle These Hüthers.

Heute nutzen wir andere Vokabeln als jene der fluiden Gesellschaft. Von Disruption ist die Rede, von Komplexität ebenfalls und die Kurzform VUKA wird auf das Spielfeld geworfen: Volatil (unstet), unsicher, komplex und ambiguos (mehrdeutig) sei Wirklichkeit geworden. Um- und Durchbrüche neuer Denk- und Handlungsweisen überraschen. Was für einige Jahrzehnte verlässlich, planbar und verstehbar erschien, ist es heute nicht mehr unbedingt. Systemiker:innen und Kybernetiker:innen lehren uns, Wirklichkeit sei nicht fix. Sondern alles miteinander vernetzt, im stetigen Wandel zudem. Und - Wirklichkeit sei konstruiert, die (kognitive) Landkarte nicht das Gebiet.

Ganz konkret bemerken es z.B. jene, die im Team Jahresziele festlegen, dem Vorgesetzten zu Liebe, und gleichzeitig hinter vorgehaltener Hand ablästern, dass diese sowieso spätestens übermorgen ins Wanken geraten. Wenn die Chinese hustet … oder das Virus sich weltweit verbreitet, dann sieht nichts mehr aus wie vorher. Pläne lösen sich auf. Genau das ist ziemlich fluide. Bis chaotisch. Damit unsere Grundlagen nicht out of order geraten, müssen wir anders handeln als zuvor. Statt Pläne umzusetzen heißt es, auf Sicht und experimentell vorzugehen.

Wir befinden uns als Menschheit seit Anfang 2020 in einem weltweiten Trainingscamp namens Corona.

Trainingsabsicht: Umgang mit weltumgreifender Komplexität. Zu entwickelnde Kompetenz: Agile Praxis. Leitfrage dabei ist: Wie gingen und gehen wir mit VUKA-Wirklichkeit um? Wie meistern wir Leben, Arbeit und Familie, wenn nichts mehr fix ist? Wenn Kinder, gerade aus der Haustür raus, schon wieder zurückkommen, weil .. du weißt schon, Corona! Dazu wirst du eigene Erfahrungen gemacht und beobachtet haben. Doch schauen wir einmal weiter.

Orientieren wir uns an der Reformpädagogin Margret Rasfeld, die sich mit dem Thema „Bildung für eine zukunftsfähige Welt“ beschäftigt. Ihre Antwort auf VUKA ist in diesen 4Ks zu finden:

  • Kreativität, Kritisches Denken, Kollaboration, Kommunikation. Eingebettet in eine empathische, lösungsorientierte, solidarische und mutige Grundhaltung dem Leben und Miteinander gegenüber. Schauen wir auf den klassischen Schulkanon, ist Zukunftsgestaltung an sich nicht wirklich ein Thema, oder?

Lesen wir z.B. bei Rolf Arnold nach, ebenfalls vom Ursprung Pädagoge, und Entwickler der Ermöglichungsdidaktik, so benennt er folgende Meta-Skills (angelehnt an: Agile Führung aus Geschichten lernen, Carl Auer Verlag):

  • selbstgesteuertes Lernen
  • selbstständiges Erschließen, Beurteilen und Nutzen von Wissensquellen
  • Gestaltung neuer Anforderungen und Problemlagen
  • selbstverantwortliches und gerechtes Handeln
  • Veränderungsbereitschaft gegenüber liebgewonnenen Sichtweisen und Routinen
  • und synergetische Kommunikation und Kooperation.

Menschen, welche jenes Fähigkeitsprofil bedienen können, tituliert der Professor als agile Persönlichkeit. Wie sieht deine Arbeitswirklichkeit aus? Kannst du dort diese Skills entwickeln? Das wäre super.

Fassen wir daher noch einmal zusammen: Agile Persönlichkeiten wissen darum, dass Wirklichkeit nicht wirklich überschaubar ist. „Wirklichkeit ist ein Elefant“! Du erinnerst dich an die Geschichte mit den Blinden und dem Elefanten?

Und dir ist bewusst, dass Dinge nie so recht fertig werden bzw. bleiben, sondern immer in Entwicklung sind? Agile Menschen sind flexibel im Kopf und offen im Herzen, bereit, Positionen anderer nachzuvollziehen und eigene zu überdenken. Und in unterschiedlichen Konstellationen Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu fällen. Aber auch mal zurückzutreten, wohl wissend, dass es Sinn macht, sich schrittweise und gemeinsam tragfähigen Lösungen zu nähern. Agile Persönlichkeiten lernen, und das gern. Allein und kollektiv. Sie denken in Möglichkeiten und leben vernetzt. Sie verstehen die Welt als einen lebendigen Organismus, Organisationen ebenso. Sie sind sensibel und achtsam im Miteinander und bereit, auch innere Arbeit zu leisten, Sprache auf den Prüfstand zu stellen und innere Haltung zu entwickeln. Sie hören auf die innere Stimme und wissen um die Wechselwirkung eigener Vorannahmen und dem Geschehen im Außen.

Agile Personen „können“ Selbstorganisation. Sie legen Wert auf sinnstiftendes Tun. Respekt und Wertschätzung gehören mit ins Handgepäck. Knowhow natürlich auch. Bringen wir agile Haltung in Schulen und Organisationen, machen wir es zum Lerngegenstand. Wir werden agile Lebenspraxis dringend benötigen.

Privat und beruflich.

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