Agile Unternehmen: Was ist anders?

Agiles Arbeiten kann wie Tanzen sein

Im Blogbeitrag „Der Sinn und Nutzen von Agilität“ begrüßen wir mehr agile Arbeitsweise in der realen Arbeitswelt. Aber was heißt das denn nun ganz konkret? Woran erkennt man, dass man agil arbeitet? Meines Erachtens der größte Unterschied zur klassischen Arbeitsweise ist die innere Haltung: In der agilen Arbeitswelt ist Vertrauen wichtiger als Kontrolle! Aber da ist noch mehr …

Douglas McGregor hat 1960 – etwas provokant – die Menschen-Typen X und Y gegenübergestellt:

Theorie X Theorie Y
Der Mensch hat eine angeborene Abneigung gegen Arbeit und versucht, diese so weit wie möglich zu vermeiden („opportunistisches Verhalten“). Der Mensch hat keine angeborene Abneigung gegen Arbeit, im Gegenteil, körperliche und geistige Anstrengung beim Arbeiten kann als ebenso befriedigend gelten wie Spiel und Sport.
Deshalb müssen die meisten Menschen kontrolliert, geführt und mit Strafandrohung gezwungen werden, einen produktiven Beitrag zur Erreichung der Organisationsziele zu leisten. Wenn der Mensch sich organisatorischen Zielen verpflichtet fühlt und diese damit als sinnvoll erkennt, sind externe Kontrollen unnötig; er wird Selbstkontrolle und eigene Initiative entwickeln.
Darüber hinaus möchte der Mensch gerne geführt werden, er möchte Verantwortung meiden, hat wenig Ehrgeiz und wünscht sich vor allem Sicherheit. Bei geeigneten Bedingungen wollen Menschen nicht nur Verantwortung übernehmen, sondern sie suchen sie sogar. Wichtige Arbeitsanreize sind die Befriedigung von Ich-Bedürfnissen und das Selbstverwirklichungsstreben.
Entlohnung alleine kann Menschen nicht dazu bringen, sich genügend zu bemühen. Dazu bedarf es noch der Androhung von Strafe bei Zuwiderhandeln gegen die Regeln. Einfallsreichtum und Kreativität sind menschliche Talente, die in industriellen Organisationen kaum aktiviert bzw. genutzt werden.

Nahezu alle Menschen schätzen sich selbst weitgehend als Y ein. In der klassischen Arbeitsweise werden Sie jedoch von den Vorgesetzten als Menschen vom Typ X behandelt. Und dies färbt dann manchmal auch auf die Verhältnis der MitarbeiterInnen auf gleicher Hierarchieebene ab.

In der agilen Welt sind alle Menschen gleichwertig. Trotz des Arbeitsvertrages werden die demokratischen Grundrechte nicht am Werkstor abgegeben. Dass ein Vorgesetzter einem Mitarbeiter eine Anweisung gibt – und erwartet, dass diese ausgeführt wird, – passt nicht in die agile Arbeitswelt. Nicht Zwang, sondern Vereinbarungen bestimmen das Leben und Arbeiten. Dies erfordert viel Selbstdisziplin und Mitdenken – zum Nutzen des Team und des Unternehmens. Agile Arbeitsweise bedeutet viel Struktur und Disziplin auf der Meta-Ebene, viel interne Kommunikation, oft auch langsame Entscheidungen, jedoch schnelle und flexible Umsetzung und hohes Engagement. Wer klassische Arbeitsweise per „Command & Control“ gewöhnt ist, wird sich (am Anfang) mit der agilen Arbeitsweise schwer tun. Es ist eben nicht nur die Anwendung einer Methode wie z.B. Scrum, sondern eine ganz andere Form der Zusammenarbeit, des menschlichen Selbstverständnisses.

ein agiles Spitzen-Team

Machen wir es konkret. Nehmen wir die normale Arbeitskraft. Was ist anders, wenn sie agil arbeitet? Selbstverständlich bleibt die eigentliche Tätigkeit, die der Wertschöpfung der Organisation dient, erst mal unverändert. Wer agil arbeiten möchte, muss sein „Handwerk“ beherrschen. Vielleicht sogar noch besser als in der klassischen Arbeitsweise, Und: Es gibt zusätzliche Aktivitäten, die den Fokus auf Selbstorganisation und Lernen lenken. Zum agilen Arbeiten gehören:

  • Agiles Arbeiten erfolgt im Team, nicht als Einzelkämpfer.

  • Das Team arbeitet transparent nach innen und außen. Das heißt, jedes Teammitglied und auch deren Partner (Schnittstellen, „Vorgesetzte“, Unterstützer) können leicht ersehen, wie der aktuelle Staus ist.

  • Das Team übernimmt die Verantwortung für seine Prozesse bzw. Tätigkeiten und Ergebnisse.

  • Das Team dokumentiert und verbessert selbst die Prozesse des Teams. Die Tätigkeiten des Teams werden möglichst anschaulich und verständlich auf einfache Weise visualisiert. Und das Team nutzt feste Verbesserungsprozesse, um diese Tätigkeiten bzw. Prozesse gemäß der Zielrichtung der Organisation weiter zu entwickeln.

  • Wenn Probleme auftauchen, arbeitet das Team an der Lösungssuche aktiv mit. Die Problemlösungskompetenz des Teams in Alltag weiter zu entwickeln, hat dabei oftmals mehr Gewicht, als nur einfach die erstbeste „von oben“ vorgegebene Lösung umzusetzen.

  • Das Team hat Freiräume. Nicht die ganze Arbeitszeit ist verplant, sondern es bleibt unverplante Zeit. Diese Zeit wird genutzt für die internen Prozesse des Teams: Erarbeiten von Verbesserungen (Problem erkennen, Lösungsideen entwickeln, in kleinen Experimenten erproben, auswerten, in den Alltag integrieren), Teamzusammenhalt stärken, Wissen und Erfahrungen weitergeben, Puffer für Produktionsrückstände bzw. liegenbliebe Aufgaben, eigene Ideen des Teams ausprobieren und weiter voran bringen.

  • Regelmäßige Rückblicke auf die Arbeitsergebnisse und die Arbeitsweise (Retrospektiven) sichern die positiven Erfahrungen erfolgreicher Arbeit und die Erkenntnisse aus Fehlern und Lösungssuchen, so dass sowohl das Team davon profitiert, wie auch andere Teams daraus ggfs. lernen können.

  • Tägliche Kurztreffen schaffen Transparenz zum aktuellen Status und über die unmittelbaren nächsten Schritte.

  • Die Erinnerung an die gewünschte Entwicklungsrichtung für die Organisation gehört ebenso zum Alltag, wie auch an die nächsten Ziele und die wichtige Leitgedanken, die Teamentscheidungen prägen mögen.

  • Menschen sind wichtiger als Prozesse. Nur wenn es den beteiligten Menschen gut geht, können sie auch gute Ergebnisse liefern.

  • Es gibt Solidarität im Team, im Unternehmen. Der Einzelne wird mit seinen Schwierigkeiten, Problemen und Herausforderungen nicht allein gelassen, wenn er diese transparent macht.

  • Typisch für viele agile Projekte ist die Kundeneinbindung und die Taktung. Das heißt, man arbeitet nicht lange Zeit im stillen Kämmerlein an seinem Projekt und liefert dann dem Kunden das fertige Produkt, sondern der Kunde bekommt schon sehr früh kleine, aber wichtige Aspekte seines Produktes zum Testen geliefert. So kann das Feedback des Kunden schon sehr früh genutzt werden, um zu überprüfen, ob man die Aufgabe richtig verstanden hat. Im frühen Stadium eines Projektes sind Änderungswünsche durch Kunden und Entwickler sehr viel einfacher zu integrieren als bei der klassischen Projektarbeit.

Für den „normalen“ Mitarbeiter ist also etliches dazu gekommen, was man unter „Command & Control“ nicht kennt. Noch radikaler ist jedoch Unterschied bei denen, die man im alten Denken „Vorgesetzte“ nennt. Es gibt sie nicht mehr! Es gibt jedoch Menschen, die die Aufgabe der Koordinierung, Moderation und des Coachings übernehmenn – oftmals parallel zu ihrer inhaltlichen Arbeit. Also nennen wir in Zukunft unsere bisherigen Führungskräfte einfach Koordinatoren und Moderatoren? Nein, bitte nicht! Das geht meist schief. Wenn eine Führungskraft (sich und) seine Mitarbeiter durch und durch als Typ Y betrachtet und behandelt – das sind leider nur wenige –, und wenn sie sich dann noch (gemeinsam mit ihrem Team) in die agilen Methoden einarbeitet, okay, dann und nur dann kann es funktionieren.

Ein Mitarbeiter mit koordinierender Aufgabe sollte inhaltlich die Aufgaben des Teams verstehen, er muss jedoch keinesfalls inhaltlich ein Experte sein. Wichtiger als fachliche Kompetenz ist menschliche Kompetenz für ein gutes, konstruktives Miteinander. Und eine zutiefst demokratische Grundhaltung. Die agilen Methoden kann man relativ schnell lernen und gemeinsam mit dem Team anpassen und verfeinern. Haltungsänderungen brauchen länger.

Mitarbeiter orientieren sich in ihrem Verhalten an dem Verhalten von anderen. Wenn sie einen Menschen als für sich und ihr Team sehr förderlich empfinden, greifen sie dessen Verhalten auf. Ein Team- oder Abteilungssprecher, der seine Mitarbeiter respektiert, ihrem Engagement und ihrer Kompetenz Raum gibt und sie als gleichwertig behandelt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem positiven Vorbild werden.

Diese Haltung sollte auch den oder die Eigentümer eines agilen Unternehmens auszeichnen, denn sie sind in jedem Fall Vorbilder.

Agile Arbeitsweise heißt auch, Unternehmen nicht als Maschine mit vielen Einzelteilen zu verstehen, sondern als organisch wachsendes Gebilde, wie ein Elefantenbaby, das langsam wächst und lernt und groß wird. Und zur agilen Arbeitsweise gehören Experimente und Pilotprojekte als Testfeld.

Agile Teams lernen und wachsen wie kleine Elefanten

Ein vorhandenes Unternehmen mit mehreren hundert MitarbeiterInnen umzustellen auf agile Arbeitsweise, wird sehr schwierig und riskant – viele MitarbeiterInnen werden sich nicht so schnell umstellen und dann lieber einen anderen Arbeitgeber wählen. Besser machbar erscheint der Weg über Pilotprojekte oder Pilotteams. Hier gibt es dann die oft sehr schwierige Aufgabe, diesen Pilotbereich so gut vor der klassischen Arbeitsweise und Anweisungskultur zu isolieren, dass nicht nur agile Methoden genutzt werden, sondern auch eine menschenzentrierte, agile Haltung entstehen kann. Das zarte Pflänzchen einer anderen Organisationskultur braucht zunächst einen Schutzraum, der wirklich respektiert wird. Ein harter Job für den Teamsprecher und -koordinator des agilen Babys.

Sie sehen die Zukunftschance in der agilen Arbeitsweise und möchten mehr davon? Gerne. Wir unterstützen Sie auf dem Weg von zarten Pflänzchen zum stabilen Baum (im Wald), vom Elefantenbaby zu einer kollaborierenden Elefantenherde.

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