Begriffsdschungel „Neue Arbeit“ und „Industrie 4.0“

In letzter Zeit wird oft über Begriffe wie Digitalisierung, Disruption, Neue Arbeit, Industrie 4.0, Agilität usw. geredet und geschrieben. Und auch wir bei KLARA agil nutzen diese Begriffe. Hier der Versuch, die Begriffe ein wenig mit Leben zu füllen.

Das große Gemeinsame hinter all diesen neuen Begriffen ist ein Wandel in den Unternehmen. Früher – im letzten Jahrhundert – bedeutete Wandel vielleicht Wechsel in der Führung oder Einführung von neuen Werkzeugen. Der aktuelle Wandel verändert jedoch auch die Geschäftsmodelle, die Art der Zusammenarbeit und die Unternehmenskultur. Und in vielen Bereichen ist es weniger ein gleitender Übergang, sondern ein sprunghafter Übergang – mit viel Konfliktpotential durch das Zusammentreffen von alter und neuer Kultur. Oder ein Bedeutungsverlust der Unternehmen mit alter Unternehmenskultur und ein Auftauchen von neuen Unternehmen.

Neue Arbeit

Frithjof Bergmann gab Ende der 70er Jahre seiner Alternative zur reinen Lohnarbeit den Namen New Work. Die zentralen Werte der Neuen Arbeit sind Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an Gemeinschaft. Nach Bergmann kann und soll jeder Mensch eine Arbeit finden gemäß den eigenen Wünschen, Hoffnungen, Träumen und Begabungen. Diese Selbstverwirklichungsarbeit wird ergänzt durch Erwerbsarbeit und High-Tech-Produktion (s. Industrie 4.0) kombiniert mit intelligentem Verbrauch.
Heute wird der Begriff New Work oftmals viel schwammiger gebraucht für alles was mit Arbeit und einen der hier erklärten Begriffe zu tun hat.

Arbeit 4.0

Zunächst entstand der Begriff Industrie 4.0. Da diese jedoch die menschlichen Arbeitsprozesse übernimmt oder verändert, bezeichnet man diese veränderten Arbeitsweisen als Arbeit 4.0. Der Begriff ist also stärker mit der aus Industrie 4.0 folgenden Veränderung verknüpft als dem aus der Sozialphilosophie kommenden Begriff New Work. Dennoch werden heute oftmals New Work und Arbeit 4.0 als Synonyme benutzt.

Industrie 4.0

Industrie 4.0 steht für die 4. Industrielle Revolution. Im englischsprachigen Bereich wird stattdessen oftmals der universellere Begriff cyber-physische Systeme verwendet.

Zur Erinnerung:

  1. Industrielle Revolution: Steinkohle (statt Muskelkraft), Dampfmaschinen, Werkzeugmaschinen, verbesserte Stahlherstellung, Fabrik (statt Manufaktur)
  2. Industrielle Revolution: Elektrizität, Elektrotechnik, Taylorismus, Fließfertigung, Massenproduktion
  3. Industrielle Revolution: CNC-Steuerung, CAD, Roboter, flexible Fertigungssysteme, Gruppenarbeit

In der 4. Industriellen Revolution geht die digitale Vernetzung der Maschinen weiter, so dass man Fertigungssysteme erhält, die nahezu vollautomatisch extrem universell und effizient Einzelstücke produzieren und dabei auch das Mikromanagement des Arbeitsprozesses übernehmen. Aus einem Pool an einzelnen Maschinen wird dann ein sich selbst steuerndes Netzwerk von zusammenarbeitenden Maschinen. Die Revolution besteht darin, dass nun auch Aufgaben des Mikromanagements – wer macht wann was womit und mit wem – von Algorithmen übernommen werden. Das kann bedeuten, dass der Kunde direkt seine Konstruktionsdaten an das cyber-physische Fertigungssystem (Smart-Factory) schickt und es dann ohne weitere menschliche Interaktion – abgesehen von der Systempflege – produziert wird.

Oftmals wird allerdings Industrie 4.0 auch mit Arbeit 4.0 in einen Topf geworfen. Durch Industrie 4.0 können etliche Facharbeiter-Tätigkeiten in der Industrie entfallen und es kommen neue, kompliziertere Aufgaben hinzu. Gravierender als der Arbeitsplatzverlust in der Industrie durch Industrie 4.0 wird jedoch voraussichtlich der Wandel außerhalb der klassischen Industrie sein: Algorithmen werden viele Verwaltungsaufgaben vereinfachen oder auch übernehmen – und auch neue ermöglichen: Die Industrialisierung der informationsverarbeitenden Branchen (Banken, Versicherungen, Behörden, Wissensvermittlung, Buchhaltung, …).

Management 4.0

Die alte streng hierarchische Führungskultur hat sich längst gewandelt. Typisch für Management 1.0 und 2.0 ist jedoch, dass bestimmte Menschen, Führungskräfte genannt, anderen Anweisungen geben, was diese zu tun haben. Im Management 3.0, hierzu gehört Lean Management und agiles Management, gestaltet der die Arbeit Ausführende zusammen mit seinen Kollegen, wie sie ihre Arbeit ausführen und wie sie diesen Arbeitsprozess weiter verbessern – Selbstorganisation zum Nutzen des Teams, des Unternehmens und der Kunden und Lieferanten. Führungskräfte werden so vom Mikromanagement und Feuerwehr-Aufgaben entlastet; sie trainieren, moderieren, coachen und koordinieren mehr. Und haben den Kopf frei für die großen Veränderungen. Diese Organisationen beschreiben sich selbst oft als Familie. Ihre Farbe bei den Graves-Leveln (Spiral Dynamics) ist grün.

Mit Management 4.0 habe ich vor einiger Zeit Organisationen bezeichnet, die noch weiter gehen: Keine herausgehobenen Führungskräfte mehr, keine scharfen Grenzen zwischen Mitarbeitern und Kunden bzw. Lieferanten. Man sieht sich eher als Organismus oder Amöbe. Auch als türkis-farbene oder evolutionäre Organisation bezeichnet.

Manchmal wird Management 4.0 jedoch anders verwendet: Management 4.0 bedeutet dort, dass die Chefebene viele kleine Start-ups ermöglicht und den Mitarbeiter vorschreibt, nun bitte agil zu arbeiten. Oder ist Management 4.0 das, was an Management übrig bleibt, wenn Industrie 4.0 umgesetzt ist? Der Begriff Management 4.0 ist also leider im Moment mehrdeutig.

Neue Führungskultur

Neue Arbeit braucht neue Führungskultur? Ja, sicher. Wenn man das Konzept von New Work als (u.a.) Arbeit gemäß den eigenen Wünschen, Hoffnungen, Träumen und Begabungen nimmt, dann wäre die Aufgabe der Führung, dem Menschen zu helfen, seine eigenen Wünschen, Hoffnungen, Träumen und Begabungen zu erkennen und Ideen zu entwickeln, wo er diese wie mit Leben füllen kann. Und Aufgabe der Führung wäre wohl auch, ggfs. die Teamfindung und Koordination moderierend zu unterstützen.

Neue Führung bedeutet also viel mehr coachen und moderieren, jedoch weniger Mikro-Management, weniger Feuerwehr-Aktionen. Mehr systemisches Denken, mehr Vorausschau. Und dennoch nie den Kontakt zu den Menschen und ihren Lernprozessen verlieren.

Braucht es dafür neue Führungskräfte? Nein, man kann diese Kompetenzen lernen. Nicht in einen 1-Tages-Training allein, aber in kleinen Schritten im Alltag integriert. Und es kann sinnvoll sein, dass eine Person sowohl diese Führungsaufgaben wie auch inhaltliche Aufgaben nebeneinander ausführt.

Agilität

Als Gegenentwurf zum klassischen, planfixiertem Projektmanagement erstellte eine kleine Gruppe von Softwareentwicklern 2001 das Agile Manifest. Darin werden die Prioritäten für die Arbeit neu gesetzt – für mehr Kundenorientierung, Menschlichkeit und Flexibilität. Ergänzt werden diese durch 12 recht konkrete Prinzipien oder Leitgedanken. Dies zusammen sind Ausdruck für eine andere Kultur im Projekt, im Team, im Unternehmen.

Für die agile Projektarbeit in der Softwareentwicklung entstanden Werkzeuge wie u.a. Scrum, Kanban, Retrospektiven und XP. Das Besondere am Agilen sind die häufigen Feedback-Schleifen innerhalb des Teams, sowohl bezogen auf den Arbeitsinhalt, als auch auf die eigene Arbeitsweise. Diese agilen Methoden werden inzwischen auch teilweise in Projekten außerhalb des Softwarebereiches genutzt.

Die agile Denkweise hat sich seit 2001 weiter entwickelt. Die großen Parallelen zur Denkweise bei Toyota (Lean Management) führen zu einem Zusammenwachsen von Lean und Agil: Modern Agile.

Lean Management

Als man versuchte, die Produktionsweise bei Toyota zu beschreiben, brauchte man einen Namen dafür: Lean Management. Wie sich erst sehr viel später heraus stellte, lag man damit schon ziemlich nah an der passenderen Bezeichnung: Learn Management. Grundgedanken hinter Lean/Learn Management sind u.a. Respekt vor den Menschen, ständige Verbesserungsprozesse und Vermeidung von Verschwendung. Die Produktion als Voraussetzung, um durch dabei beobachtete Verbesserungsmöglichkeiten das hochkomplexe Produktionssystem zu verstehen und weiter zu entwickeln - mit weniger Material- und Ressourceneinsatz, weniger Problemen, weniger Zeit, weniger Kosten produzieren. Und gleichbleibend hoher oder besserer Qualität.

Die so entstandene lernende Unternehmenskultur nutzt dabei die Beobachtung, das Wissen und die Erfahrung der am Prozess Beteiligten. Das Team gestaltet selbstorganisiert und transparent den eigenen Prozess und ggfs. seine Schnittstellen. Das gleiche Muster findet man auch in der Agilen Softwareentwicklung bzw. Agilen Unternehmenskultur.

Evolutionäre Praxis

Das, was Agile oder Lean Unternehmenskultur so besonders macht, ist auch das, was Leben auf diesem Planeten so erfolgreich macht: Wir probieren einfach mal kleine Variationen vom Bisherigen – und wenn es erfolgreich ist, nutzen wir diese Variation weiter. Es geht also darum, immer mal wieder zu schauen: Was läuft schon gut, was soll so bleiben? Und was stört uns auf unserem Weg? Was können wir mal ausprobieren, um zu sehen, wie und wo es besser wird?

Evolution ist nicht plangesteuert, sondern baut auf dem auf, was bereits da ist. Es wird nicht zusammenmontiert, sondern die Organisation kann wachsen – und dabei lernen und sich weiterentwickeln. Wie unser kleiner Elefant KLARA …

Diesen Weg zu gehen als Team, Unternehmen oder Organisation, nennen wir – übernommen von Frédéric Laloux und seinem Buch „Reinventing Organizations“ – evolutionäre Praxis.

Digitalisierung

Viele Informationsverarbeitungsprozesse, die im letzten Jahrhundert von Menschen im Unternehmen auf Papier bearbeitet wurden, verändern sich gerade gewaltig. Der Mitarbeiter als Schnittstelle zum Kunden tippt nicht mehr die Eingaben und liest die angebotenen Optionen vom Bildschirm ab, sondern der Kunde kommuniziert direkt mit dem Algorithmus. Nahezu alle Routineaufgaben können durch computergestützte Algorithmen übernommen werden. Für Menschen bleiben die (manchmal spannenden, manchmal stressigen) Sonderfälle. Und der Aufbau und die Pflege der digitalen Systeme. Der Wegfall der einfachen Verwaltungsaufgaben durch Digitalisierung (oder besser Algorithmisierung) stellt letztendlich unser Konzept der Erwerbsarbeit in Frage. Andererseits bekommen Menschen durch die Befreiung von Routinetätigkeiten mehr Raum für Menschlichkeit.

Disruption

Mit dem Wort Disruption wird der Bruch mit einer alten Technologie oder einem alten Geschäftsmodell durch ein neues Konzept bezeichnet. Das, was jahrhundertelang sich bewährt hat und auch immer ein wenig weiter entwickelt wurde, verliert in kurzer Zeit an Bedeutung. Bessere Technik meist gekoppelt mit einem anderen Geschäftsmodell ermöglicht auf einmal, das Problem oder Kundenbedürfnis auf eine andere, oft kundenfreundlichere oder kostengünstigere Art zu lösen.

Im letzten Jahrhundert war es ziemlich selbstverständlich ein eigenes Auto zu besitzen. In der Folge haben wir unsere Städte mit lauter nicht-fahrenden „Parkzeugen“ verstopft. Ein einfacher Leitgedanke: „Nutzen statt Besitzen!“ und die Welt verändert sich radikal. Dank Digitalisierung des Fahrvorganges braucht man kein eigenes Auto mehr: Wenn man eins braucht, kommt es und fährt, wohin man möchte. Jedoch erst die immer leistungsfähigeren Algorithmen machen diesen Wandel in den nächsten Jahren möglich. Die Autoindustrie wird sich verändern, da mit selbstfahrenden Autos vermutlich nur etwa ¼ der Anzahl an Autos benötigt werden wird. Die Autos können wegen der geringeren Unfallgefahr leichter sein – leichter, effizienter, kostengünstiger. Und die Radfahrer und Fußgänger freuen sich über die umsichtigeren autonomen Autos

In anderen Bereichen ist der Wandel nicht ganz so krass, aber doch beobachtbar: Statt CD und DVDs zu besitzen, wird Streaming genutzt. Oder auch: Informationsbeschaffung und Werbung online statt auf Papier.

Disruptionen sind beängstigend, machen aber auch unheimlich Spaß.

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