Der Sinn und Nutzen von Agilität

Man kennt es ja: Alle paar Jahre gibt es eine neue Methode, die jetzt unbedingt umgesetzt werden muss, um weiterhin als Unternehmen erfolgreich zu sein. Und die typische Reaktion der „alten Hasen“ ist Abwarten und Ignorieren: Es ist ja doch nur wieder eine „neue Sau, die durch's Dorf getrieben wird“. Und oft hat sich diese Haltung auch durchaus bewährt. Aber gilt dies auch für das Thema Agilität?

Es gibt Gründe, warum agiles Denken und Handeln immer mehr Notwendigkeit wird, statt nur einfach Mode. Und das hängt mit der Verschiebung unserer Probleme oder Herausforderungen in Richtung Komplexität und Chaos zusammen:

  • Unsere Welt wird zunehmend komplexer und chaotischer – die Vorhersehbarkeit der Wirkung unseres Handeln wird geringer
  • Komplexe (und chaotische) Situationen erfordern jedoch eine andere Herangehensweise als komplizierte (oder einfache) Situationen

Eine gute Orientierung für die unterschiedlichen Herangehensweise im Umgang mit Systemen bietet das Cynefin-Modell von dem walisischem Gelehrten Dave Snowden. Snowden unterscheidet zwischen einfach, kompliziert, komplex und chaotisch:

Cynefin-Modell (Skizze von Edwin Stoop) (CC BY-SA 4.0)
Sketch of the Cynefin framework, by Edwin Stoop (CC BY-SA 4.0)
  • einfache Herausforderungen:
    Es gibt eine bekannte Ursache-Wirkung-Beziehung und Lösungen, die sich zuverlässig bewährt haben – Best Practice.

  • komplizierte Herausforderungen:
    Experten kennen Lösungen, die sich oftmals bewährt haben – Good Practice. Es gibt keine einfachen Ursache-Wirkungs-Beziehungen, sondern hier geht es um systemische Wechselwirkungen. Nicht einfach, aber mit entsprechendem Aufwand kann man diese „aufdröseln“ und z.B. solche Systeme auch realistisch simulieren. Das System ist somit in seinem Verhalten vorhersehbar. Das Wissen über komplizierte Systeme ist lehr- und lernbar. Unsere heutige technische Welt basiert auf Kompliziertheit.

  • komplexe Herausforderungen:
    Die Wechselwirkungen innerhalb des betrachtetem Systems sind so viele oder teilweise unbekannt oder das System ist größer als vermutet, so dass es nicht gelingt, halbwegs zuverlässige Vorhersagen für das Verhalten des Systems zu machen. Das System ist nur (teilweise) im Rückblick auf seine Veränderungen beschreibbar. Dies ist das Feld der Forscher, die neues Wissen schaffen – mit kleinen Experimenten, genauer Beobachtung und gründlicher Auswertung. So wird manchmal aus einer unverstandenen komplexen Situation neues Wissen. Dann ist es nur noch kompliziert. Ein bewährter Weg für diese Reduktion von komplex zu kompliziert ist die wissenschaftliche Methode.
    Etliche neue Geschäftsmodelle wagen sich heute in den Sektor der komplexen Herausforderungen. Aber auch manche etablierten Geschäftsmodelle rutschen in diesen Bereich, wenn die Randbedingen sich stark ändern.

  • chaotische Herausforderungen:
    Chaos sollte vermieden werden, da es nicht handhabbar ist. Reines Glücksspiel, bei dem doch immer die Bank gewinnt. Hier geht es nur darum, so schnell wie möglich wieder sicheren Boden unter den Füßen zu haben.

Ist unsere Welt wirklich komplexer geworden? Ich denke ja. Nehmen Sie einfach nur mal das Telefon: Früher nur 2 Bedienelemente: Hörer von Gabel nehmen und drehen der Wählscheibe. Heute hat man auf dem Smartphone zig Apps mit Ihren Icons – so viele Möglichkeiten, aber nur wenige davon führen zum gewünschten Ergebnis. Und ohne ein Grundverständnis für eine Bedienung per Menü scheitern unsere ganz alten MitbürgerInnen oft komplett. Für sie ist ein Smartphone komplex – und ihnen fehlt die Routine, das Interesse und die Zeit für den Umgang mit dieser komplexen Herausforderung.

Die Entwicklung von Technik im Bereich Industrie 4.0 ist sehr kompliziert. Nur durch das gute Zusammenspiel von z.B. Maschinenbauern, Informatikern, Zuliefern, Kunden und weiteren Spezialisten bekommt man die Systeme zum Laufen. Die Fehler- und Lösungssuche kann sehr schwierig werden. Da man hier immer an der Kante zwischen kompliziert und komplex kratzt, ist es hilfreich, wenn die Beteiligten Wege des Umgang mit Komplexität kennen.

Früher verkaufte man Produkte, die mehrere Jahre Entwicklung brauchten und dann auch mehrere Jahre unverändert angeboten wurden. In Zukunft wird viel öfter der Nutzen verkauft – der Kunde zahlt für die Nutzung, nicht den Besitz. Das geht aber nur, wenn man systemisch denkt: Hier muss nicht nur das Hardware-Produkt stimmen, sondern auch die Qualitäten der Benutzung, der Bestellung, der Abrechnung, der Infrastruktur, dem Umgang mit Störungen. Das System ist zumindest viel komplizierter, oft wegen seiner Dynamik aber auch komplexer als der einfache Produktverkauf.

In komplexen Situationen ist der offene, vertrauensvolle Austausch unterschiedlicher Perspektiven im Team hilfreich. Außerdem kleine, gut ausgewertete Experimente, um eine Ahnung zu bekommen, was wie wirkt. Und so Inseln der Kompliziertheit oder gar Einfachheit im Nebel der Komplexität zu erkennen. Entscheidungen im Team mit Kopf und Herz. Um so langsam Schritt für Schritt aus dem Nebel des Unverstandenen zu kommen und wieder im Bereich der Komplexität und Einfachheit zu landen.

Die agile Arbeitsweise ist genau passend für komplexe Situationen: Viele Perspektiven dank unterschiedlicher Kompetenzen, Talenten und Rollen, Entscheidungen im Team, menschlich bleiben, in kleinen Schritten voran gehen, den Rückblick nutzen für das Verstehen des Systems und immer wieder Richtung und nächste Schritte überprüfen.

Wenn unsere Welt komplexer wird, brauchen wir mehr agile Arbeitsweise. Ist doch eigentlich ganz einfach, oder?

Mehr zur agilen Arbeitsweise im nächsten Blogbeitrag …

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