Lost in ... Tipps und Co! Warum Ratschläge Schnee von gestern sind.
Sicherlich haben Sie die Erfahrung auch schon gemacht. In einem schwachen Moment laufen Ihnen Herz und Zunge über und Sie schildern guten FreundInnen einen aktuellen Engpass Ihres Lebens. Mal sind Sie selbst und / oder KollegInnen, Familienmitglieder, FreundInnen, PartnerInnen im Fokus Ihrer Berichterstattung. Und wenn das Gespräch dann gelaufen ist, fühlen Sie sich ggf. zu Beginn erleichtert. Doch hinterher beschleicht Sie womöglich das Empfinden, etwas Fixes erschaffen zu haben, was (oder wer) nun im schlechten Licht dasteht.
Im Problemgespräch erschaffen und fixieren wir einseitige Wirklichkeiten und Wahrheiten
Neben persönlichen Befindlichkeiten schildern Sie in derartigen Momenten eine verengte Sicht der Dinge. Das ist normal und hirnbedingt. Verengt deshalb, da bei Belastung das Hirn nicht im kreativen sondern eher im Überlebensmodus funkt. Dieser ist davon gekennzeichnet, dass nur wenige Zentren "funken" und das Denkorgan sein Bestes gibt, um präsent und zu allem bereit aus der prekären Lage heraus zu gelangen. Angriff - Tot stellen - Flucht? Oder Grübeln und gedanklich im Kreise drehen. Zu mehr ist unsere Oberstube dann selten in der Lage. Die wenigsten schaffen es im "Problemmodus" systemisch zu denken. So weit so gut - schließlich gehören derartige Gespräche zur Freundschaft dazu.
Doch was erhoffen Sie sich wirklich von solchen Begegnungen? Entlastung? Unterstützung in Ihrer Position, dass der oder die Andere "Schuld" ist? Tipps, wie Sie rauskommen aus der Nummer? Oder einfach ein offenes Ohr, welchem Sie Ihre Sicht der Dinge schildern und dabei auch einmal überprüfen können?
Erkenntnis kommt beim Sprechen
Sprechen ist etwas anderes als sich gedanklich im Kreise zu drehen. Allein das "Sprechen drüber" bietet Chancen auf emotionale Entlastung. Endlich ist ES einmal gesagt. Endlich hat mal jemand ZUGEHÖRT. Sprechen drüber bietet auch Erkenntnis. Eventuell taucht Ihnen beim Zuhören der eigenen Worte eine weitere Perspektive auf: "Ist das denn wirklich so? Wie sieht das wohl mein Gegenüber? Ich verdichte gerade eine sehr vereinfachte Sicht! Es gibt auch Ausnahmen!" Ganz besondere Glückspilze finden ein gedeihliches Setting vor, in der aufmerksame und einfühlsame Menschen einfach nur zuhören und Mitgefühl signalisieren: "Oh je. Aha. Hm. Wow!" Und ab und an einmal nachfragen: "Wie geht es dir damit? Was ist das Schwierigste für dich? Was beschäftigt dich am intensivsten? Was wäre, wenn du diese Situation nicht mehr hättest?" So werden Sie durch aufmerksames Nachfragen auf neue Fährten gelotst. Und Sie gelangen vielleicht zu überraschenden Erkenntissen. Und müssen sich nicht verteidigen gegenüber übergestülpten Ratschlägen und ausgemachten Schuldigen.
Ratschläge sind Schnee von gestern
Als kommunikativ gebildete Menschen kennen wir ja den Slogan: Ratschläge sind auch Schläge. Ok. Aber warum eigentlich? Diese Tipps á la "Du musst endlich mal ... ", "Mein Patentrezept für dich lautet ... " oder "Ich habe früher ein ähnliches Problem wie folgt gelöst ... " greifen eben auf Erfahrungen unseres Gegenübers zurück. Und da jeder Moment spezifisch und jeder Mensch einzigartig ist, war das favorisierte Vorgehen eben DAMALS in jener SPEZIFISCHEN SITUATION hilfreich. Aber nun ist ein NEUER Moment. Mit Ihnen als Hauptfigur. Und den anderen Beteiligten. Eine spezifische aktuelle Gemengelage. Sie besitzen Ihre Werte, mit denen Sie gerade in Konflikt kommen bzw. welche Sie sich gerade verdeutlichen.
Bei uns im Coaching gilt: JedeR Coachingkunde ist Experte für sein eigenes Leben. Der Coach ist jene Person, welche achtsam und präsent Fragen stellt und dabei hilft, die persönliche Sicht zu erweitern. Zu klären, zu erspüren und achtsam erweitertes Verhalten und Empfinden zu entwickeln. Wir als Coach achten auf Klima und Atmosphäre und lenken die Aufmerksamkeit hin zu neuen Perspektiven. Der Coachingkunde selbst zieht seine eigenen Schlüsse und bleibt damit Experte für sein Leben. Und das ist gut so.
Wer seine eigenen Erkenntnisse und Schritte formuliert, wächst.
Und wer diese von anderen vorgesetzt bekommt, gerät in eine Beziehungsschaukel. Ein Ratschlag lässt uns wie einen Dummie darstehen. Nix mehr mit Begegnung auf Augenhöhe. Eine herzliche Atmopshäre schafft es ggf. dieses emotionale Phänomen aufzufangen. Trotzdem, wer selbst reflektiert, entscheidet und Position einnimmt, wächst. Wir brauchen starke Menschen für eine starke und wohltuende Gemeinschaft, daher bin ich für persönliches Wachstum.
In Zeiten des Wandels greift Schnee von gestern nicht mehr!
Wir werden Vieles neu erfinden müssen. Sowohl im Job als auch im privaten Miteinander. In eigentlich allen gesellschaftlichen Bereichen. Das mühsam von Mama, Papa und Sozialisation übernommene unbewusste Rezeptbuch erfolgreicher Lebensbewältigung bietet sicherlich gute Basiswerte, aber wenig Werkzeug für das Händeln der Dynamik einer sich wandelnden Welt.
Wenn mir wieder einmal das Herz überlaufen sollte, vielleicht versuche ich es einmal so: "Ich möchte, dass du weißt, dass mich das Thema X sehr beschäftigt. Es wäre wunderbar, wenn du mir zuhören könntest, einfach nur zuhören. Ich brauche keinen Tipp. Denn ich will meinen eigenen Weg herausfinden, wie ich damit umgehen kann. Vielleicht ist mir hinterher leichter ums Herz. Hättest du Zeit und auch ausreichend Power, um mir diesen Gefallen zu erweisen? Danke :-) !"
Und wie werden Sie es anfangen? Ich wünsche Ihnen gute und wohltuende Gespräche!