Mehr Demokratie wagen!

Vor 42 Jahren löste Bundeskanzler Willy Brandt mit seinem Satz "Wir wollen mehr Demokratie wagen" in seiner Regierungserklärung heftige Reaktionen der Opposition aus. Sein Schlußsatz "Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an" gilt hoffentlich auch heute (endlich) wieder.

Die durch Perspektivlosigkeit und steigende Lebensmittel ausgelösten Demokratiebewegungen in etlichen arabischen Ländern, dass demokratische Engagement der jungen Menschen in Madrid und Barcelona, die Energiewende in Deutschland als Reaktion auf den Bürgerwillen, all das sind meines Erachtens Zeichen, das die Welt ein wenig demokratischer werden wird.

Diese neue Form der Demokratie geht allerdings weiter als die etablierte Parteien-Demokratie. Partizpation, punktuelles, persönliches Engagement der Bürger, Schwarmintelligenz, Dialog und Transparenz sind wichtige Stichworte in diesem Zusammenhang.

Island setzt beim Erstellen seiner neuen Verfassung auf Transparenz und Bürgerbeteiligung (Crowdsourcing) über das Internet. Dieser Weg wäre doch auch eine Chance für Deutschland, endlich zu einer Verfassung zu kommen.

Und sogar die manchmal als Lobbyorgansition des Neoliberalismus kritisierte Bertelsmann Stiftung engagiert sich jetzt für aktive Demokratie und insbesondere Bürgerhaushalte. Vor wenigen Tagen wurde der Reinhard Mohn Preis 2011 vergeben. Weltweit wurden 123 Projekte für den Preis vorgeschlagen. Preisträger wurde Recife, Brasilien: Stadt- und Schulentwicklung per Bürgerhaushalt - siehe auch das hier folgende Video der Bertelsmann Stiftung über Recife. Recife hat schon seit 2001 einen Bürgerhaushalt, das heißt, die Bürger selbst schlagen vor und bestimmen, wie die Haushaltsmittel der Stadt eingesetzt werden. Der Stadtrat und Bürgermeister entscheiden nicht mehr, sondern unterstützen die Bürger für deren Entscheidungen. Und auch in den Schulen bestimmen die Schüler mit, wie investiert wird. Während global fast überall die Schere zwischen arm und reich größer geworden ist, scheint in Recife ein Weg gefunden worden zu sein, der auch den Bewohnern der Favelas wirklich weiter hilft.

Partizipation zieht sich als roter Faden durch alle vorgeschlagenen Projekte des Reinhard Mohn Preises. Nicht nur Bürgerhaushalte gabe es, sondern auch z.B. eine Initiative für Demokratie-Experimente in Valentuna, Schweden. Oder Bürgerbeteiligung in Vorarlberg, Österreich, über die von uns sehr geschätzte Methode Dynamic Facilitation und den damit zusammenhängenden Rat der Weisen. Es lohnt sich bei den vorgeschlagenen Projekten zu stöbern ...

Als Reaktion auf die eingangs zitierten Worte von Willy Brandt befürchteten konservative Politiker die Folgen einer Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft - so Wikipedia. Heute ist mehr unkonventionelle und experimentelle Demokratie meines Erachtens ein gutes und vielversprechendes Mittel gegen Politikverdrossenheit. Und auch manchen Unternehmen würde es gut tun, wenn sie mehr Demokratie wagen würden. Wer gute, engagierte Mitarbeiter möchte, sollte deren Kompetenz und Engagement wertschätzen und zum Wohle der Gesamtheit nutzen. Die Zeiten der "Human Ressources" ist doch eigentlich schon vorbei, oder? Nicht die Funktionsträger zählen, sondern die Menschen, mit ihren Macken und Stärken, mit ihren Vorlieben und ihrem Engagement.

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