TmdW 3: Raus aus der Opferjacke

Tanz mit dem WandelDa hängen sie nebeneinander, die bekannten Roben … Die Retterweste direkt neben der Opferjacke, daneben auch die Joppe des Unsichtbaren. Das Kleid der Dramaqueen, die Rüstung des Täters, die Robe der Richtenden, der Kragen des Wissenden, der Anzug der Forscherin. Dazu die kurzen Hosen des Querulanten sowie die schlichte Robe der Gütigen und Weisen, alles fein in einer Reihe. Ach, da ist noch der Blaumann des Machers, mit einem Handgriff auch in einen kaschierenden Businessanzug zu verwandeln.

Was nur soll ich heute anziehen?

Ein Blick auf die Hände zeigt, das Alter ist fortgeschritten. Hier steht kein Kind mehr vor dem Schrank. Nein, eine ausgewachsene Person mit Lebenserfahrung. Mit perfekter Kultivierung des Unvollkommenen. Bergeweise Strategien für den Bigdeal mit dem Phänomen namens Leben, verborgen hinter dieser Vielfalt von Gewändern. Wer um Himmels willen bin ich heute? Wer bin ich ohne diese Verkleidungen, wenn ich ich selbst bin?

Was meint der Ratschlag, es sei angesagt, sich selbst zu entdecken, die innere Stimme zu vernehmen??? So ganz nackig mit sich selbst allein zu sein? Und sich dazu auch noch zu mögen, gar zu lieben?

Wie ein Trommelfeuer prasseln sie auf mich ein, die Botschaften, wie und was im Leben wichtig, richtig ist. Ich habe die Wahl, lautet die Erkenntnis! Oh je!! Kann denn nicht irgendetwas einfachmal fix sein? So nach dem Motto, die gelbe Jacke am Montag, die grüne am Dienstag, die Blaue wenn … usw. (Irgendwo habe ich das doch schon erlebt, oder irre ich mich??). Einfach mal verlässlich?

Ich will doch einfach nur glücklich und zufrieden sein.

Und mein Leben meistern, Anforderungen, die auftauchen, auch bewältigen. Stolz empfinden, wenn es gelingt. Und milde mit mir sein, wenn nicht. Mich ausprobieren und Talente wecken. Freude empfinden im Sein und auch im Handeln. Humor- und liebevoll über Misslungenes lächeln, na ja, zumindest nicht zu lange mit mir zu richten. Um dann herauszufinden, wie es besser gehen könnte. Mit meiner Familie, meinen Freunden, Kollegen und Nachbarn würdig umgehen, auch wenn es Streit gibt. Ich möchte Spaß haben, voller Freude sein. Wachsen an unseren unterschiedlichen Positionen und biografischen Meilensteinen. Wachsen durch sensible Betrachtung und achtsames Verstehen des menschlichen Miteinanders. Vertrauen in das Leben entwickeln, auch oder gerade in den schmerzenden Zeiten. Fertigkeiten und Fähigkeiten ausbauen, welche einen positiven Unterschied machen im menschlichen Miteinander.

Nicht unbedingt Konten der Superlative besitzen, aber derart mit den (nicht nur finanziellen) Ressourcen verbunden sein, dass ich meinen Kindern und mir eine Teilhabe am Leben, an Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten ermöglichen kann. Dass sie eine gute Basis finden in sich, im Leben und im Umfeld. Sich ernähren, versorgen und kleiden dürfen mit Gütern, welche nicht aus dem Leid Anderer entstanden sind. Und diese Kids ihre Pracht genießen und leben können, ganz selbstverständlich, in einem Klima der Wertschätzung, des Respektes und der Liebe. Nicht um im Wettbewerb die Schau zu stehlen, sondern damit wir uns immer öfter aneinander erfreuen können. Im Großen und im Detail. Wunder gibt es auf Schritt und Tritt. Nun gut, Träume eben.

Bleiben zwei Fragen offen. Was ziehe ich an und wo finde ich jenes, was mich wirklich ausmacht? Ich beginne auszumisten.

Ich bin alt genug. Jetzt ist Schluss! Weg mit der Opferjacke. Vorbei mit dem Gekrähe über Ungerechtigkeiten und Gejammer über die schwierigen Lebensumstände, dem Hadern mit der eigenen Person und ihren vermeintlichen Schwächen. Die Dinge sind. Und ich habe die Wahl. Es ist mein Leben. Nicht immer leichtgängig, aber gegeben. Wer, wenn nicht ich sollte sich um dieses verletzliche Gut kümmern?

Ich werde mir das Kleid des Stehaufmännchens schneidern. Gut so. Vielleicht upgecycelt aus Teilen der Rüstung, den kurzen Hosen des Querulanten, verziert mit dem Kragen des Wissenden? Nach vorne geholt auf jeden Fall den Tropenanzug der Forscherin und Blaumann des Handelnden. Mit mir allein brauche ich eigentlich keine besondere Robe. Ich lausche versunken in mich hinein, um die innere Stimme deutlicher wahrzunehmen. Wer beginnt, hinzuhören, wird sensibel für diesen zarten Klang. Du wirst entdecken, dass alles da ist. Und es so wohl tut, einfach mit sich in Verbindung zu sein. Es braucht Übung, Gedanken in der Oberstube in ihre Schranken zu weisen und Leere anzunehmen. Doch es gelingt. Jeden Tag etwas besser. Und dann, dann beginnst du anzudocken an deinen Wesenskern. Denn hinter der Leere warten ungeahnte Möglichkeiten.

Ach ja, für alle Fälle brauche ich noch etwas kleines Schickes, zum Feiern und Verabreden. Mit Menschen, die mir gut tun. Und mit mir.

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