Verletzlichkeit

LiebeBei meiner Entspannungslektüre bin ich in einem Artikel über den Begriff der emotionalen „Verletzlichkeit“ gestolpert und hängen geblieben. Fragilität, Dünnhäutigkeit, Sensibilität – allesamt Qualitäten, die ich damit verknüpfe. Aus meiner Lektüre klang der Appell, doch diese Verletzlichkeit nicht verbannen zu wollen, sondern sie sich zu erhalten. Für einen menschlichen und achtsamen Umgang miteinander. Autorin und Professorin Brené Brown forscht zu dem Thema an der University of Houston.

Verbunden zu sein zu anderen ist die zentrale Sehnsucht der Menschen, so nicht nur Brené Brwons Erkenntnis. Das Gehirn ist ein soziales Organ und entwickelt sich über unsere Beziehungen. Das Gegenteil von Verbundenheit ist Getrenntsein und diese erfahren wir durch Beschämung, ein durchaus immer noch anzutreffendes Prinzip in Erziehung, Pädagogik, in unserem Miteinander, auch am Arbeitsplatz. Scham ist das Gefühl ganz unten in der Skala menschlicher Lebensenergie. Dieser Gefühlszustand entzieht uns nahezu sämtliche Kraft, da wir uns von uns selbst distanzieren müssen. "Schäm dich", diese alte Botschaft signalisiert, wir sind minderwertig, haben keine Berechtigung.

Brené Brown hat sich in ihren Forschungen mit der Frage beschäftigt, welche Qualitäten jene Menschen in sich tragen, die sich im Leben zutiefst verbunden fühlen, also ein starkes Gefühl von Liebe und Zugehörigkeit besitzen.

Diese Menschen, so Browns Erkenntnis, sind davon überzeugt, dass sie ihrer Verbindungen würdig sind. Und sie besitzen die Courage, unperfekt zu sein. Denn sie sind genug, so wie sie sind. Sie sind ok, auch wenn sie unperfekt sind. Menschen mit tiefer Verbundenheit nehmen Verletzlichkeit vollkommen an, da sie davon überzeugt sind, dass jenes, was sie verletzlich macht, sie wunderschön macht.

Wow! Gerade dadurch, dass wir verletzlich und auch unperfekt sind, sind wir menschlich und verbunden mit der Welt. Und wunderschön. So die Quintessenz.

Wer interessiert ist, kann sich bei TED einen Vortrag von Brené Brown (mit zuschaltbarem deutschen Transkript) anschauen.

Verletzlichkeit zu zeigen und zuzulassen steht in Resonanz mit dem Klima, in welchem wir uns bewegen. Geringschätzung, Abwertung, Ausgrenzen, Auslachen und abfällige Bemerkungen – allesamt Werkzeuge von Beschämungen, dem Gegenspieler menschlich-orientierten Zusammenseins.

Gegenseitiger Respekt wäre eine erste Investition für menschliche Verbundenheit. Eine weitere sicherlich die Selbstannahme. Und im Miteinander die Wahrung der Würdigkeit, auch im Konflikt und in Momenten des Unperfektseins.

Im Grundgesetz heißt es, die Würde des Menschen ist unantastbar. Doch dieses Wissen geht oftmals verloren. Warum müssen wir uns abstrafen, menschlich geringschätzen, wenn etwas schief gegangen ist? Müssen wir uns kränken, in der Hoffnung, damit Erfolg zu haben und Dinge voran bringen zu können? Woher kommen diese bedingten Reflexe, die sich wie tiefe Autobahnen in unsere Begegnungen eingeschliffen haben? Sie wissen ja, wer den Finger auf Andere richtet, zeigt mit 3 Fingern auf sich selbst.

Fangen wir daher doch ganz einfach damit an, uns selbst anzunehmen, zu lieben, so wie wir sind. Auch in unserer unperfekten Art, mit der wir eventuell gerade richtig perfekt sind. Und menschlich.

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