WdM 3: Management 2.5 und 3.0

Tanz mit dem WandelIm dritten Teil dieser Reihe an Blogbeiträgen zum Wandel des Managements geht es um kleine, selbstorganisierte Teams und um Lean Management. Und wie Toyota so erfolgreich wurde.

Management 2.5: Hand in Hand

Nach 2.0 kommt 3.0? Ich möchte Ihnen aber jedoch erst noch gerne einen wichtigen Zwischenschritt vorstellen: Management 2.5! Management 2.5 passiert einfach – ohne das es geplant ist. Und so ist es auch keine „richtige“, „vollwertige“ Management-Version.

Stellen Sie sich ein kleines Team aus Monteuren oder Handwerkern vor: Wie arbeiten die zusammen – wenn der Chef nicht dabei ist? Zielvereinbarung? Zertifikate und Diplome? Kennzahlen? Alles irrelevant! Sie wollen einfach nur gute Arbeit machen. Und wenn es ein wirklich gutes Team ist, arbeiten sie Hand in Hand und unterstützen sich gegenseitig. Sie sehen es, wenn ein anderer im Team eine helfende Hand braucht. Und sind für den Anderen da, wenn er Unterstützung braucht. Sie fragen den Kollegen, wie er es macht, wenn sie unsicher sind. Sie schauen sich erfolgreiche Arbeitsweisen gegenseitig ab. Sie suchen gemeinsam nach Lösungen. Sie behalten sich gegenseitig im Blick und stellen gute Qualität sicher. Sie pflegen und warten den gemeinsamen Werkzeugpool, wenn die Zeit dafür passt. Sie denken voraus, welcher Arbeitsschritt als nächster kommt und bereiten den schon mal vor. Und sie denken mit, wie sie dem späteren Nutzer ein gutes Ergebnis liefern.

In kleinen Teams, die in Sichtweite zusammen arbeiten, gibt es so eine tolle und sehr produktive Arbeitsweise. Nicht immer. Es hängt sicher von Klima zwischen den Mitwirkenden ab: Gibt es eine positive Akzeptanz des Anderen – auch mit seinen Fehlern und Eigenheiten? Verstehen sie sich als Team oder als Haufen von Einzelkämpfern? Steht die Mehrheit des Teams hinter der gemeinsamen Aufgabe und der Rest wenigstens hinter dem Team?

Solche Teams funktionieren einfach – ohne Management. Sie organisieren sich selbst. Und manchmal übertreffen sie sich selbst: Schneller und besser als sie selbst es vermuten. Die Zufriedenheit mit der Arbeit ist hoch.

Auch in Organisationen mit Management 2.0 gibt es manchmal Inseln des Arbeitsglück mit Management 2.5. Dies liegt dann aber nicht am Management 2.0, sondern an den Menschen, die intuitiv selbstorganisiert und respektvoll auf gleicher Augenhöhe zusammen arbeiten. Egal ob Hobby-Verein oder gemeinsame Feier: Management 2.5 wirkt, wenn nicht streng geplant wird, Menschen gerne zusammen arbeiten und eine gemeinsame Ebene der Wünsche, der Denkweise und der Fähigkeiten existiert.

Leider funktioniert Management 2.5 nur in kleinen, überschaubaren Teams. In größeren Gruppen bleiben manche Mitwirkende außen vor, ziehen sich zurück, weil sie nicht wissen, wie sie sich einbringen können. Und sie erwarten, dass ihnen jemand sagt, was sie tun sollen.

Management 3.0: lean und agil

Die sehr positive, selbstorganisierte Zusammenarbeit von kleinen Teams versucht Management 3.0 in einem größeren Rahmen zu ermöglichen.

In unserem Sandmodell bildet die Produktion eine Kette von kleinen Teams. Die ganze Organisation ist ausgerichtet auf den Kunden. Er gibt die Richtung vor, für die gefertigt wird. Seitlich in der Organisation findet man kleine Teams für z.B. Verwaltung, Entwicklung usw. Der Chef der Organisation hat eine Position auf ähnlicher Höhe. Er ist einer von vielen Mitarbeitern, nur eben mit einer besonderen Aufgabe.

Das Vorbild für Management 3.0 ist Toyota. Auch hier lohnt sich mal wieder ein Blick in die Historie: Sakichi Toyoda, geboren 1867 im ländlichen Japan, war ein Zimmermann und genialer Tüftler. Zunächst baute er hölzerne Webstühle. Dann kamen Webmaschinen aus Stahl und mit Antrieb durch eine Dampfmaschine. Schließlich realisierte er seine große Idee: die automatische Webmaschine.

Seine Leben war geprägt von dem Wunsch nach ständiger Verbesserung und Respekt vor dem Menschen (Kunde und Mitarbeiter). Von Sakichi Toyoda stammt z.B. auch das Konzept von Jidoka, d.h. die Maschine muss automatisch stoppen, wenn ein Fehler auftritt. Und auch die 5-Why-Methode, d.h. frage mindestens 5 mal nacheinander vertiefend Warum, um zum Kern des Problems vorzudringen, und sich nicht in oberflächlichen Symptombehandlungen zu verlieren. Ihm war die Vermeidung von Verschwendung aller Art (Muda) wichtig. Auffällig ist auch, dass Sakichi Toyoda recht systemisch dachte: Als er feststellte, dass seine mechanischen Webstühle nicht mit allen Garnen gut liefen, entwickelte er Spinnmaschinen. Um auch wirklich sicher zu sein, dass seine Web- und Spinnmaschinen zuverlässig funktionierten, baute er eine eigene Textilfabrik. Seine automatischen Webmaschinen waren international technologisch führend.

Als er in den 30er-Jahren mitbekam, dass immer mehr Automobile (im Ausland) gebaut wurden, ließ er durch seinen Sohn Kiichiro Toyoda 1929 seine Patente an einen britischen Webstuhl-Hersteller verkaufen. Mit diesen so erzielten Vermögen baute Kiichiro Toyoda eine eigne Automobilproduktion auf. Die Toyota Motor Company begann 1935 die Serienproduktion. Während des Krieges produzierte sie Militär-Lkws.

Nach dem Krieg gewann Toyota sehr viele Anregungen durch die amerikanische Wiederaufbauhilfe. Dazu 2 kleine Abstecher zurück in die USA:

  • 1924 entwickelte Walter A. Shewhart, Physiker, Mathematiker und Statistiker, das Konzept der Statistical Process Control (SPC). William Edwards Deming, ebenfalls Physiker, Mathematiker und Statistiker, griff dies auf, machte es verständlich und vermittelbar. Und er erweiterte das Konzept von SPC von der technischen Fertigungs-Prozessverbesserung auf das Management. Bekannt wurde Edward Deming durch den PDCA-Zyklus (plan–do–check–adjust).
  • Als im 2. Weltkrieg die amerikanischen Arbeiter an die Front und dennoch die Produktion von Waffen und Munition „brummen“ musste, erschaffte das Kriegsministerium den Dienst Training within Industry (TWI), eine Art Trainingsinstitut. Experten aus der Industrie entwickelten ein detailliertes und hochkonzentriertes Programm aus 4 je 10-stündigen Trainings. Mit dem Ziel, neue Arbeiter sehr schnell und dennoch gründlich anzuleiten, die Qualität und Effizienz der Prozesse zu steigern, die Beziehung zum Arbeiter zu verbessern und das Training lösungsorientiert weiter zu entwickeln.

Edward Deming wurde 1947 vom US-Armee-Ministerium als Berater für die japanische Volkzählung geholt. Während seiner Zeit in Japan lud ihn die Japanese Union of Scientists and Engineers (JUSE) als Experten für SPC ein. Deming vermittelte japanischen Ingenieuren und Managern (u.a. Akio Morita, den Gründer von Sony) das Konzept von Qualität und deren Optimierung. Sein Credo dabei: Bessere Qualität reduziert Kosten und erhöht Produktivität und Marktanteil.

Zwar stellten die USA nach dem Krieg Training within Industry als Armeedienst ein. TWI lebte jedoch als private Stiftung weiter. Die US-Regierung schickte TWI-Trainer nach Europa und Japan. Insbesondere in Japan und ganz besonders bei Toyota fielen die TWI-Konzepte auf fruchtbaren Boden. In Kombination mit der von Sakaichi und Kiichiro Toyoda vorgelebten ständigen Verbesserung und Demings PDCA entstanden so wichtige Eckpfeiler des Toyota Production Systems (TPS).

Taiichi Ohno, geboren 1912, ab 1943 bei der Toyota Motor Company, griff die systemische Denkweise von Henry Ford und Edward Deming auf und durchdachte in den 1960er-Jahren nach dem Besuch von Ford-Werken in den USA die Produktion völlig neu – mit dem von Kiichiro Toyoda gewünschtem Ziel, Verschwendung zu reduzieren. So entstand basierend auf dem Pull- bzw. Supermarkt-Prinzip die Just-in-Time-Fertigung (JIT), ein System für die Massenfertigung von Kleinserien bzw. stark variiernden Produkten. Kanban dient dabei als wichtiges Medium für den Informationsfluss.

Das Toyota Production System baut auf (selbstorganisierten) Teams für die einzelnen Produktionsabschnitte. Für die Qualität und die Prozesse übernehmen die Teams selbst die Verantwortung und arbeiten an der Verbesserung. Fehler führen nicht zur Abmahnung, sondern zu einer Lernzyklus: Danke für die Fehlermeldung. Und: Wie können wir sicher stellen, dass dieser Fehler nie wieder auftreten kann?

Bei Selbstorganisation wird die Auswahl der passenden Mitarbeiter sehr wichtig. Bei Toyota wählt man die neuen Mitarbeiter nicht (so sehr) nach fachlicher Qualifikation, sondern mehr nach der sozialen Kompetenz, der Teamfähigkeit und Lösungskompetenz aus. Die fachlichen Fertigkeiten lassen sich leichter erlernen als kompatible Ethik und Werte.

Die standardisierten Arbeitsprozesse werden visualisiert und dokumentiert. Jedoch nicht für den Aktenschrank, sondern möglichst einfach und leicht änderbar direkt im Arbeitsbereich des Teams, das diese Prozesse ausführt – und weiter verbessert.

Toyota ist zur Zeit der weltgrößte Autohersteller. Und wohl auch der profitabelste. Im Gegensatz zu z.B. General Motors erfolgte dies Wachstum nicht durch Übernahmen von anderen Herstellern, sondern aus eigener Kraft.

Das System der schon über Jahrzehnte gelebten, kontinuierlichen Verbesserung (Kaizen) in Kombination mit vielen anderen Methoden und Konzepten macht die besondere Stärke von Toyota aus. So hat Toyota die heftigen Probleme mit Totalausfällen von Zulieferern nach dem Tsunami von 2011 deutlich schneller lösen können, als westliche Experten vermutet hatten – dank Genchi Genbutsu: Gehe dahin (und zu denen), wo das Problem ist.

Der große Erfolg von Toyota und seinem Toyota Production System führte dazu, dass andere (Auto-)Hersteller dies System für sich nutzen wollen. Allerdings ist das TPS ein so filigranes Gebilde aus vielen kleinen Tools und Haltungen bei den beteiligten Personen, dass dies nicht so einfach ist. Der Name Lean Management wurde schnell populär, noch bevor man so einigermaßen verstanden hatte, welche menschliche Haltung dahinter steckt.

Im Westen wird vielfach Lean Management mit Wertstromdesign (Value Stream) gleich gesetzt. In der Wertstromanalyse wird der Prozess der Wertschöpfung genau betrachtet, um dann im Wertstromdesign unnötige Verschwendungen wie z.B. Puffer zu reduzieren. Dabei wird nur auf das Material und die Informationen geschaut. Bei Toyota wird diese Betrachtungsweise eher selten angewandt – und dort Process Mapping oder Materials and Informations Flow Diagram genannt. Stattdessen schaut man bei Toyota lieber auf die 4M: Mensch, Maschine, Material und Methode. Der Name Value Stream (Wertstrom) wurde später von amerikanischen Beratern vermutlich aus Marketinggründen gewählt.

Lean Management bzw. Toyota Production System (TPS) ist nur eine Seite des Erfolgs von Toyota. Die Konzepte aus der Produktion lassen sich nicht auf die Entwicklung übertragen. Und daher entstand parallel – und doch relativ unabhängig – zum TPS das Toyota Product Development System (TPDS), das Toyota ermöglichte, in sehr viel kürzerer Zeit neue Modelle zu entwickeln als andere Autohersteller. TPS und TPDS basieren auf der gleichen Grundhaltung, mit der Sakichi Toyoda und seine Nachfolger das Unternehmen Toyota geprägt haben. Sie sind ein stetiger Lernprozess. Lernen und immer weiter verbessern.

Lean Management ist ein echter Paradigmenwechsel für eine Organisation. Die Vorannahmen für die menschliche Zusammenarbeit sind völlig anders als die von Management 1.0 und 2.0 – mehr dazu später.

Vielleicht haben diesen Paradigmenwechsel manche Softwareentwickler besser verstanden als mancher Chef von z.B. Maschinenbau-Unternehmen, die nun Lean Production proklamieren. Das Agile Manifest von 2001 verdeutlicht die anderen Grundannahmen von Management 3.0.

Manifest für Agile Produktentwicklung
Wir erschließen bessere Wege, Produkte zu entwickeln,
indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen.
Durch diese Tätigkeit haben wir diese Werte zu schätzen gelernt:
Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge
Funktionsfähige Produkte mehr als umfassende Dokumentation
Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlung
Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans
Das heißt, obwohl wir die Werte auf der rechten Seite wichtig finden,
schätzen wir die Werte auf der linken Seite höher ein.

Mit agilen Methoden der Softwareentwicklung wie z.B. Scrum nutzt das Team ineinander geschachtelte Feedback-Schleifen, um das Produkt möglichst schnell und einfach, iterativ an die Bedürfnisse des Kunden anzupassen – ähnlich der kontinuierlichen Verbesserung bei Toyota.

Kanban, zunächst bekannt geworden als Logistik-System bei Toyota, wird in der Softwareentwicklung genutzt für die transparente Planung der Arbeitsaufgaben und der Steuerung der Arbeitsbelastung. Und inzwischen wird Kanban auch für private Aufgabenplanung und in der Koordination der Teamarbeit eingesetzt.

Management 3.0 hat seine Stärken bei mehr oder weniger standardisierbaren und dennoch variablen Prozessen. Und es setzt Menschen voraus, die gerne gute Teamplayer sind. Menschen, die Routine lieben, aber auch die Reflexion und Verbesserung der eigenen Arbeitsprozesse.

Wer noch kreativer und innovativer sein möchte, auf den lauert Management 4.0 …

Fortsetzung …

Übersicht und Infos zu dieser Blog-Reihe Wandel des Managements

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