Die Fahrwiderstände in Formeln

von Rainer Pivit

veröffentlicht in Radfahren 2/1990, S. 44 - 46

(Nummer in Klammern verweisen auf die dazugehörige Literaturliste)

gleichzeitig wurde von mir im gleichen "Radfahren"-Heft veröffentlicht:

 

In der Naturwissenschaft und Technik ist es üblich, Natur und Technik durch mathematische Konstruktionen "abzubilden". Die am Fahrrad angreifenden Kräfte, die den Fahrradfahrer mal aufjuchzen lassen - bei kräftigem Rückenwind oder bergab - oder auch zum Stöhnen bringen - etwa bei stundenlangen Aufstiegen mit schwer bepacktem Fahrrad in brütender Hitze - werden in schnöde, abstrakte Formeln gepreßt.

Der auf das Fahrrad wirkende Fahrwiderstand FGesamt  setzt sich aus dem Rollwiderstand FRoll , dem Luftwiderstand FLuft , dem Beschleunigungswiderstand bzw. der Massenträgheitskraft FTräg , dem Steigungswiderstand FSteig , dem Lagerreibungswiderstand und dem Antriebswirkungsgrad η zusammen. Beschleunigungs- und Steigungswiderstand können im Gegensatz zu den anderen Größen auch negativ wirken, also - für den Radler meist positiv - das Fahrrad antreiben und nicht nur verzögern. Die Antriebsverluste wirken natürlich nur, wenn der Fahrradfahrer das Fahrrad auch wirklich antreibt und nicht nur rollen läßt. Die Lagerreibungswiderstände werden als Reibung der Naben meist dem Rollwiderstand zugerechnet; dementsprechend werden die Lagerreibungskräfte im Antrieb, also Pedalen, Tretlager, Freilauf und zum Teil auch Naben (zusätzliche Kräfte auf die Nabe durch den Kettenzug), dem Antriebswirkungsgrad η zugerechnet. Somit erhält man die Formel:

FGesamt  = ( FRoll  + FSteig  + FTräg  + FLuft  ) / η
  mit η : Antriebswirkungsgrad,
dimensionslos
       
Die einzelnen Fahrwiderstandsgrößen werden wie folgt beschrieben:
       
FRoll  = cr m g mit cr : Rollwiderstandsbeiwert,
dimensionslos
    m : Gesamtmasse des Fahrzeugs
mit Fahrer in kg
    g : Erdbeschleunigung 
≈ 9,81 m/s2
Typische Werte für cr liegen ja nach Reifen und Oberfläche für Fahrräder im Bereich zwischen 0,0015 und 0,015.
       
FSteig  = s m g mit s : Steigung,
dimensionslos
       
FTräg  = a m mit a : Beschleunigung in m/s2
       
FLuft  = ρ cw  A vWind 2 / 2 mit ρ Luftdichte in kg/m3
    cw : Luftwiderstandsbeiwert,
dimensionslos
    A : Stirnfläche des
angeströmten Objekts
in m2
    vWind : Geschwindigkeit gegenüber
der Luft in m/s
       
Für die zur Überwindung der Fahrwiderstände notwendige Leistung gilt:
P  = FGesamt v mit v : Geschwindigkeit
in m/s

Die Formel für den Luftwiderstand gilt streng genommen nur bei Windstille. Bei Wind ist statt v die Vektorsumme aus Fahrtwind und wahrem Wind zu nehmen; allerdings gelten cw und A normalerweise nur für Anströmung von vorne. Eine realitätsnahe Beschreibung des Luftwiderstandes (und erst recht die Messung bei Wind) ist nicht ganz einfach (1, 20).

Der Wirkungsgrad η des Antriebes beträgt beim Fahrrad maximal etwa 96 %. Eine Kettenschaltung verringert den Wirkungsgrad nur geringfügig um zusätzliche 1 bis 2 %. Nabenschaltungen haben Wirkungsgrade zwischen 95 % im Direktgang und im ungünstigsten Fall 80 %. Der Wirkungsgrad von verdreckten und angerosteten Fahrradketten ist nicht bekannt.

Bei den weiteren Betrachtungen wird vereinfachend völlige Windstille sowie das Fehlen von Steigung und Beschleunigung angenommen. Die erste Grafik zeigt die Fahrwiderstandskraft über der Geschwindigkeit eines typischen, konventionellen Rennrades und die Wirkung der einzelnen Fahrwiderstandskomponenten. Es wurde dabei angesetzt:

η = 0,95; m = 80 kg; cr = 0,003; ρ = 1,2 kg/m3; cwA = 0,39 m2

Fahrwiderstände eines konventionellen Rennrades

Bei etwa 12 km/h sind Roll- und Luftwiderstand gleich groß. Bei höherer Geschwindigkeit überwiegt sehr stark der Luftwiderstand.

Leistungsbedarf eines konventionellen Rennrades

Die zweite Graphik zeigt für dasselbe Fahrrad die benötigte Leistung in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit. Der Normal-Fahrradfahrer kann auf Ergometern kontinuierlich 80 W leisten. Beobachtungen im Verkehr zeigen, daß Fahrradfahrer dort aber oft im Leistungsbereich bis zu 200 W fahren. Vermutlich hängt dies mit der besseren Kühlung durch den Fahrtwind, dem durch die Verkehrsverhältnisse stark schwankenden Leistungseinsatz und den Umweltreizen zusammen. Absolute Spitzenrennfahrer können etwa 500 W über eine Stunde leisten.

Die dritte Grafik zeigt den Leistungsbedarf für verschiedene Fahrzeuge mit einem männlichen Fahrer.

Leistungsbedarf verschiedener Fahrräder

Im normalen Fahrradverkehr kann nicht von konstanter Geschwindigkeit ausgegangen werden. Die Fahrt wird immer wieder durch Kreuzungen und diverse andere Hindernisse und Störungen gestoppt oder behindert. Insofern ist die Beschleunigungsarbeit zumindest im Stadtverkehr nicht zu vernachlässigen. Kyle berechnete die Energie der einzelnen Fahrwiderstände für eine Fahrt mit einem Reiserad mit konstant 187 W - dies entspricht einer Geschwindigkeit von 32 km/h unter Normalbedingungen (14). Er sah eine Strecke mit Stops alle 400 m vor. Unter diesen Bedingungen geht 53 % der Energie in den Luftwiderstand, 11 % in den Rollwiderstand und 36 % in die Beschleunigungsarbeit. Aerodynamische Verbesserungen dürfen also kein übermäßiges Mehrgewicht verursachen.